Warum wir Regatta segeln

Es gibt zwei Sorten Segler: solche die Regattasegeln lieben und solche die es hassen. Dazwischen scheint es so gut wie nichts zu geben. Die, die es hassen, probieren es hin und wieder, um am Ende festzustellen, dass die Sache nur Stress ist. Warum also geben sich dann einige diesem Stress hin und lieben ihn sogar?

Ich will versuchen, es zu erklären und schildere hier meine Erfahrungen und Erlebnisse. Andere mögen andere Beweggründe haben.

Wie läuft eine Regatta ab? Meistens beginnt sie früh morgens, viel zu früh! Der Wecker klingelt gegen 5 Uhr 30, gefühlte Uhrzeit 2 Uhr 15! Draußen rüttelt der Wind an der Dachrinne, der Dauerregen trommelt schräg gegen die Fenster. Und da soll man raus!

Hier setzt bereits die erste Herausforderung ein: trotz Müdigkeit früh aufstehen, wobei der Zwang dazu selbst gemacht ist, also nicht von anderen wie zum Beispiel dem Arbeitgeber, der Zuspätkommen mit Sanktionen bestraft. Ich gebe zu, dass ich in diesen Momenten schon oft daran gedacht habe, meinen Schiffsbesitzer anzurufen und Cholera, Typhus oder eine andere dramatische Infektion vorzuschützen, um liegen bleiben zu können. Ich habe es dann aber doch nicht getan, denn ich bin Teil einer Mannschaft. Wenn ich nicht da bin, fehlt einer, und die Crew hat darunter zu leiden.
Bisher haben wir also zwei Punkte, die ich als positiv in Sachen Regattasegeln anführe: die freiwillige Überwindung des inneren Schweinehundes und das Voranstellen des Teamgedankens. Und das soll positiv sein? Die Regattahasser werden sagen, sie könnten auch ohne dies leben. Das Positive daran ist, dass dies für das tägliche Leben übt, den Regattasegler befähigt in Beruf und Familie Dinge zu tun, die nicht bequem sind, und im Team sich selbst zurückzustellen und gemeinsam mit anderen schwierige Situationen zu meistern.

Glücklich aufgestanden, geht’s mit der Kutsche in den Hafen, auf den andere Regattasegler ebenfalls sternförmig zuströmen. Die Autodichte mit dicken Segelsäcken im Rückfenster wird bei Annäherung an den Hafen immer größer. Auf dem Parkplatz und dem Schlengel trifft man dann auf unterschiedlichste Charaktere: Brummelige, die kaum die Zähne zum Gruß auseinander bekommen, andere, die schon rauchen, und Aufgekratzte, die bereits fröhlich und laut sind. Unter ihnen sind viele, die noch schnell (und ich meine schnell) aufs Klo müssen. Die Nervosität fordert ihren Tribut! Je stärker der Wind, desto besetzter die Toiletten. Dieses Stadium habe ich Gott sei Dank überwunden. Ich bringe aber die Nervosität als dritten positiven Punkt mit in die Rechnung, die das tägliche Leben meistern hilft.
Wer sich freiwillig unangenehmen Situationen aussetzt, wird auch solche abwettern, in die er unfreiwillig gerät.

An Bord angekommen, findet man eine ähnliche Situation vor: Teile der Mannschaft sind noch träge, andere gehen einem schon mit ihrem Gequatsche auf die Nerven. Wer mich kennt weiß, dass ich zu den Quatschern gehöre. Nach kurzer Diskussion ist die Entscheidung für das voraussichtlich zu wählende Vorsegel getroffen, so dass alle Schoten und Strecker angebaut werden können. Hier passiert etwas, was ich beim Fahrtensegeln so nie erlebt habe: Die eingespielte Crew funktioniert wie am Schnürchen! In wenigen Minuten ist alles vorbereitet, wobei jeder seinen Teil tut, was ohne viele Worte funktioniert. Die, die länger dabei sind, haben den Überblick und kontrollieren Leinen und Blöcke, damit nach dem Auslaufen alles klappt. Beim Fahrtensegeln ist das anders: Hier hat der Skipper meist die ganze Last und muss sich um alles selbst kümmern oder die Mannschaft zu bestimmten Aufgaben einteilen. Der Fahrtensegler wird es nicht erleben, wie wunderbar es ist, Teil einer nach Perfektion strebenden Crew zu sein. Soviel Positives und noch keinen Meter gesegelt! Also los geht’s.

Vor dem Start wird noch kurz über die endgültig zu wählenden Segel entschieden und über die beim Start gewünschte Position diskutiert. Oft wird diese dann doch nicht erreicht, und es gilt aus einem Misserfolg das Beste zu machen. Schon wieder eine Übung für das Alltagsleben. Wer hat schon immer Erfolg? Ich behaupte, der Misserfolg begleitet die meisten Menschen häufiger als der Erfolg. Wer aber übt, den Misserfolg in einen Erfolg umzuwandeln, kommt auch mit dieser Situation besser zurecht.
Das eigentliche Regattasegeln selbst beschert viele Glücksmomente: Offensichtlich ist es Glück, wenn man schneller segelt als die anderen, aber es gibt auch andere, weniger offensichtliche Dinge: Teil einer gut funktionierenden Crew zu sein, seinen Job gut zu machen, so dass man zum Gesamterfolg beiträgt, sich mit den Mitseglern über Taktik zu beraten und es zu genießen, wenn die Entscheidung und die Ausführung richtig waren und eine halbe Bootslänge gewonnen wurde. Herrlich ist auch der aggressive Angriff, unter Kriegsgeheul über den Gegner herzufallen und ihn im Luvkampf an die Wand zu drücken. Was gibt es Schöneres als den Sonnenschuss des Gegners!

Hier werden Urinstinkte befriedigt! Noch vor wenigen tausend Jahren, war es Aufgabe des Mannes, vor der Höhle der Familie zu wachen und auftauchenden Gegnern eins mit der Keule überzuziehen. Derartige Verhaltensweisen werden in unserer heutigen Gesellschaft nicht mehr akzeptiert, die Aggression wohnt jedoch noch in uns. Das Regattasegeln bietet heutzutage eine ausgezeichnete Möglichkeit zum Aggressionsabbau. Wo sonst können sich Mannschaften wie Affenhorden auf durch Wasser getrennten Felsen (Booten) Drohgebärden und übelste Beschimpfungen zuwerfen, ohne dass wie bei anderen Kampfsportarten Verletzte zurückbleiben? Ich gebe zu, dass diese Theorie nicht ganz schlüssig ist, da auch immer mehr Frauen dem Regattasegeln frönen. Oder sollte es etwa auch Frauen gegeben haben, die damals mit der Keule vor der Höhle gesessen haben? Egal, ein nicht zu unterschätzender Aspekt bleibt: Der Aggressionsabbau hilft unsere heutige Gesellschaft am Leben zu erhalten. Regattasegeln als soziales Element! Wer hätte das gedacht?
Dass das soziale Element nach der Regatta wichtig ist, weiß jeder, der nach dem Zieldurchgang das Hafenleben genossen hat. Mit Freunden, den Gegnern von eben, über Situationen von vorhin und von vor einigen Jahren zu diskutieren, Seglers Sieben-Gänge-Menu (belegtes Brötchen mit einem Sixpack Bier) zu genießen und dann so richtig abschlaffen. Wann schläft man besser als nach einer anstrengenden Regatta? Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Tourenschipper jemals diese Ruhe verspürt, auch wenn ein prominenter Vertreter dieser Spezies häufig behauptet: „Tiefer Frieden ist in mir.“

Dies sind meine Beweggründe, Regattasegler zu sein – und wie anfangs gesagt, andere mögen noch andere haben. Allen gemeinsam ist sicher die Abwandlung eines viel verwendeten Spruchs: Der Weg zum Ziel ist das Ziel.
Marcus J. Boehlich – Zuerst veröffentlicht 2005 anlässlich des 100 jährigen Jubiläums der SVAOe.

Kommentieren
Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht